Alois Senefelder, der Erfinder der Lithografie, wäre heute 250 Jahre alt geworden. Dies nehmen wir zum Anlass, um im Jahre 2022 den technik- und kulturgeschichtlichen Spuren der Lithografie von ihren Anfängen bis zum Ende des „langen Jahrhunderts“ (1789 bis 1914) mit mehreren geplanten Blog-Beiträgen zu folgen. „Die Lithografie im langen Jahrhundert zwischen Revolution und Krieg“ ist der gemeinsame Titel, unter dem die Einzelbeiträge stehen. Die ab Mai 2022 geplanten Blog-Beiträge stehen auch in Zusammenhang mit der Jahrestagung 2022 des IADM e.V. vom 16. bis 19. Juni in Eichstätt, die dem Thema “Der Stein des Senefelder: ein druckgeschichtliches Kulturerbe” gewidmet ist.
Zu Lebzeiten von Alois Senefelder dominierten in Europa seit mehr als 300 Jahren Holzschnitt, Kupferstich und Radierung den Bildermarkt für gedruckte Kunst und gedruckte Buchillustrationen. Im Hochdruck und Tiefdruck wurden gedruckte Bilder entweder durch erhabene oder tiefliegende Reliefstrukturen bestimmt. Alois Senefelder erfand den Bilderdruck neu und befreite ihn durch das Flachdruckverfahren der Lithografie vom Primat der Linie. Im Alter von 25 Jahren wird Senefelder, ein künstlerischer und zeichnerischer Laie, ungewollt zum Erfinder dieses neuen druckgrafischen Verfahrens für die Vervielfältigung handgeschriebener Texte und des Bildes.
Als Sohn einer Schauspielerfamilie in Prag geboren, studiert er auf Geheiß seines Vaters, Peter Senefelder, die Juristerei in Ingoldstadt. An seiner eigentlichen Liebe zum Theater und dem Schreiben von Theaterstücken kann der erfolgreiche Abschluss seines wohl eher ungeliebten Studiums nichts ändern. So versucht er sich zuerst vergeblich als Schauspieler zu profilieren, aber sein Talent reicht nicht aus. Als es ihm auch nicht gelingt, Verleger für seine Theaterstücke zu finden, entschließt er sich, selbst zum Verleger zu werden, was ohne Bleilettern, Druckerpresse und Geld in damaliger Zeit allerdings ein schwieriges Unternehmen ist. So wird er ungewollt zum „Quereinsteiger“ in die druckgrafischen Verfahren des Bilderdrucks, obwohl es ihm zunächst nur darum ging, zu Gutenbergs teuren Bleisatzlettern eine Alternative zu erfinden: Dazu schreibt er in seinem 1818 veröffentlichten Lehrbuch der Lithografie und des Steindrucks:
„Ich wollte nämlich gewöhnliche Buchdruckerschrift ganz genau und zwar verkehrt nachschreiben lernen. Wenn ich einmal hierin die gehörige Geschicklichkeit hätte, dachte ich dieselbe auf eine nach gewöhnlicher Art mit Ätzgrund überzogene Kupferplatte mit einer elastischen Stahlfeder zu schreiben, sodann mit Scheidewasser (Salpetersäure, Anmerk. des Verfassers) einzuätzen und beim Kupferdrucker abdrucken zu lassen.“[1]
Von dem Gedanken getrieben, sein eigener Verleger zu werden, entfaltet sich Senefelders unermesslicher Erfindergeist. Zwischen 1796 und 1798 erfindet er 25 verschiedene „Manieren“, um auf einem glatt geschliffenen Kalkstein aus Solnhofen mit einer selbst erfundenen lithografischen Tinte zu schreiben und zu zeichnen, um von diesem Stein drucken zu können. Er erfindet eine revolutionäre handwerkliche Technik, deren Vorteil gegenüber Holzschnitt, Kupferstich und Radierung vor allem ihre „Wohlfeilheit“ ist, mit der sich die Bildnachfrage des Bürgertums nach Bildern für unterschiedliche soziale Schichten befriedigen lässt. Die Zeit der napoleonischen Koalitionskriege ist einerseits geprägt vom Geist der Aufklärung und andererseits vom Geist der Restauration und geistigen Verklärung. In diesem Zeitgeist wird die Lithografie noch vor der Erfindung der Fotografie zu einem Medium, das der Bildpublizistik und der Farbigkeit der Druckgrafik maßgeblich einen Impetus gibt. Die Lithografie bleibt im Unterschied zum Holzschnitt, dem Kupferstich und der Radierung resistent gegenüber dem nächsten neuen Medium, der Fotografie, weil sie mit der fotografischen Technik eine Symbiose eingehen konnte, die selbst die Digitalisierung der Bilder und ihrer Verbreitung überdauert hat.
- Alois Senefelder. Lehrbuch der Lithographie und des Steindrucks; S. 5 ↑