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Allein im Druck-Museum.

Von analogen Besuchern und digitalen Usern in Zeiten von Corona

Seit dem 14. März 2020 sind die Museen in Leipzig geschlossen. Es ist still geworden im Museum für Druckkunst, seinen Sammlungen und der aktuellen Ausstellung Das Auge des Fotografen. Manchmal braucht es wohl erst eine Krise, damit sich die Verhältnisse drehen. Denn seit einigen Wochen sind nicht nur die Leipziger Museen äußerst aktiv und besuchen ihre User. Sie gehen online und zeigen mit Fotos, Videos und Live-Streams, was sie zu bieten haben.

So stiften wir Museen nun Nutzen in einem anderen Medium als dem Raum, den wir sonst als unsere Hülle betrachten. Wir zeigen Relevanz, indem wir unseren Content digital aufbereiten, geben neue Einblicke in unsere Sammlungen, schaffen Vermittlungsangebote und Kreativideen zum Nachmachen zuhause oder bieten Führungen an durch unsere derzeit geschlossenen Sonderausstellungen.

Gefilmte Führung im Museum für Druckkunst

Viel kreatives und innovatives Potenzial kam in den letzten Wochen auch im Museum für Druckkunst in Bewegung. Alle Mitarbeiter*innen haben sich in unterschiedlicher Weise eingebracht und dabei ganz nebenbei neue Talente entdeckt. Sei es in der Videoschnitttechnik, in der Darstellung von Aktivitäten per Film und Foto oder in der Moderation von gefilmten Führungen. Oder sie haben endlich Projekte, die im Museumsalltag seit langem geplant waren, umgesetzt. So entstand in den Werkstätten des Museums eine kultige Tapete mit riesigen Holzlettern. Zwei Kollegen haben sich abgestimmt und jeweils eigene Poster kreiert und auf einer großformatigen Andruckpresse gedruckt. Diese zieren inzwischen den Eingangsbereich des Museums und einen bisher eher dunklen Gang des Hauses und motzen beide kultig auf. Die einzelnen Schritte des Projektes haben andere Kolleg*innen fotografisch und filmisch festgehalten und als mehrteilige Serie für Facebook und Instagram aufbereitet. Die hohen Klickzahlen beweisen, dass die Brücke zwischen Historie und Gegenwart sowie zwischen analog und digital gut funktioniert.

Tapetenwechsel im Museum für Druckkunst Leipzig

Hat also die Krise gerade in den oft als konservativ geltenden Museen einen dringend notwendigen Innovationsschub hervorgerufen? Das wird nicht erst seit Mitte März 2020 in der Museumswelt diskutiert. Denn einige große Museen wie das Städel Museum in Frankfurt oder das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg verfolgen schon seit einigen Jahren eine konsequente digitale Strategie. Dabei gilt es jedoch zu unterscheiden, was mit Digitalisierung gemeint ist, die Zurverfügungstellung von Objektdaten u.a. zu Recherchezwecken, wie es etwa die deutsche digitale Bibliothek macht, an der auch museale Sammlungen beteiligt sind, oder ob es sich um digitale Bildungs- und Vermittlungsprogramme handelt, die bewusst außerhalb des Museums genutzt werden sollen und Besucher damit zu Usern machen.

Und genau hier erweist sich nun in der Krise, welche Museen ihre Zielgruppen virtuell erreichen, unterhalten, partizipieren lassen, bilden und binden wollen, oder welche nur Objekte wie in einer digitalen Vitrine im Netz darstellen. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, der durch die Transformation eines Objektes in ein anderes Medium eine Nobilitierung oder gar eine höhere Sichtbarkeit bekommt. Denn welchen Nutzen stiftet das Digitalisat, außer dass es nun online verfügbar wird und damit etwa für die Fachöffentlichkeit vom Computer aus erreicht und recherchiert werden kann, ohne das Museum oder die Sammlung je besucht zu haben? Auch das kann ein Nutzen sein, keine Frage! Doch Aufwand und Ertrag stehen in dieser Art des Nutzens oft in einem krassen Gegensatz, denn ein Museum ist eben keine Bibliothek.

Nein, es muss vielmehr um einen Nutzen gehen, der vielen Usern gilt und einen neuen Denkraum eröffnen sollte, in dem sich die Haltung und das Selbstverständnis der einzelnen Museen widerspiegeln. Denn allen auch noch so gut gemachten digitalen Angeboten fehlt ein bestimmter Nutzen, der Museen und ihre Sammlungen so einzigartig macht: das Original vor Ort. Kein Filmbeitrag, keine Performance, keine Fotoshow kann den Usern das Original ersetzten, aber es kann und soll Lust machen, das Original aufzusuchen. Denn der Ort, an dem es ich befindet, bietet mehr als die drei Sinnesebenen, die das digitale Medium zur Verfügung hat. Das Original hat vielmehr einen Resonanzraum, in dem sich auch andere Menschen befinden können, wo es Geräusche und Gerüche gibt, wo der Blick wandern kann und nicht durch eine Kamera gerichtet wird. Hier wird Begegnung zwischen Menschen möglich, die Atmosphäre des Ortes fließt ein und daraus entsteht ein Erlebnis, das sich einprägt, nicht flüchtig ist, wenn der Video-Clip vorbei ist und am nächsten Tag ein neuer gepostet wird.

Sichtbar wird in der digitalen Vermittlung von musealen Orten eines in dieser Krise, digitale und analoge Welten bedingen sich und rücken näher zusammen als früher. Sie werden nun nicht mehr als Gegensätze, sondern als Partner wahrgenommen, die ein gemeinsames Ziel haben: Menschen für Museen und ihre Sammlungen zu interessieren, zu begeistern und sie zu einem analogen Besuch zu bewegen. Und es gibt noch einen Zusatznutzen der digitalen Aktivitäten: diese lassen sich im Museum nachnutzen, als Apps, auf der Website, für die Objektdokumentation, aber vor allem auch als zusätzliches Angebot der Vermittlung vor Ort, z.B. in Form von QR-Codes, die bereits existierende Inhalte per Smartphone für Besucher jederzeit erreichbar machen.

Digitale Rundgänge für User sind aktuell eine wunderbare Alternative, sie bringen den Institutionen jedoch bislang keinen einzigen Euro ein. Und hier liegt die Crux der bisherigen Digital-Modelle, die kostenlos verfügbar sind, was angesichts von Corona absolut richtig ist. Denn eines ist sicher, die hohen Klickzahlen derzeit wären dramatisch geringer, wären sie an ein Bezahlmodell gekoppelt. Das hat die Verlags- und Medienwirtschaft bereits erfahren müssen, dass ihr Content, sobald er kostenpflichtig ist, deutlich weniger User hat, es sei denn, er ist einzigartig und stiftet einen besonderen Nutzen. Die Museen sollten davon lernen und sich darauf konzentrieren, zwar kostenfreie Inhalte zu produzieren, die einen hohen Nutzen stiften, in Kreativität, Unterhaltung, Bildung und Information, aber dabei stets im Auge behalten, dass dieser Content so beschaffen sein muss, dass er darauf gerichtet ist, Vor-Ort-Besuche zu generieren, einen Sog zu erzeugen, einen drängenden Wunsch, diesen Ort, genannt Museum, ganz analog besuchen zu wollen.

Die Zeichen stehen dank Corona dafür sehr gut, vor allem für die Museen, die die aktuellen Abstands- und Hygienemaßnahmen relativ problemlos umsetzen können. Darauf verweist der Deutsche Museumsbund und dies führt dazu, dass die Museen zu den ersten Kulturinstitutionen gehören, die wieder öffnen dürfen. Wenn Museen in den letzten Wochen den Blickwinkel auf informative, unterhaltsame wie zeitgemäße Aktivitäten im Netz gerichtet haben, sollte ihnen nun ein kulturell ausgehungertes Publikum sicher sein, das dankbar für abwechslungsreiche und authentische Kulturerlebnisse ist. Museen sind demokratische und sichere Orte der Begegnung, des Dialogs und der Bildung. Wie gut, dass sie nicht nur im Netz existieren, sondern sprichwörtlich vor der Haustür und für viele Menschen, die aktuell digital übersättigt sind, nun ganz analog ein Stück Welt bereithalten, das wir sonst oft erst auf Reisen für uns entdecken. Ein analoger Besuch im Museum kann auch eine Reise in neue Welten eröffnen.

 Dr. Susanne Richter, Museum für Druckkunst Leipzig, 04.05.2020

Dr. Susanne Richter ist Kunsthistorikerin und überzeugt von der Institution Museum. Sie engagiert sich außerdem für Industriekultur und das immaterielle Kulturerbe Drucktechnik. Wiederentdeckt hat sie in den letzten Wochen ihr Festnetztelefon, um persönliche Kontakte zu pflegen.

Fotos: Museum für Druckkunst Leipzig.

www.druckkunst-museum.de

www.facebook oder instagram.com/museumfuerdruckkunst

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