Zwischen Morsecode und digitaler Fonttechnologie Teil 4: Der Hellschreiber

Abbildung 1: Hellschreiber von Siemens Halske Modell 24a=32 aus dem Jahre 1941
Quelle: ©2008 Frank M.G. Dörenberg, N4SPP
www.nonstopsystems.com/hell.htm

Die Abkürzung TELEX steht für TeleprinterExchange und bezeichnet den Austausch von Textnachrichten über Fernschreiber auf Telefonleitungen mittels des standardisierten Zeichensatzes nach Murray-ITA-2 (siehe Teil 3 dieses Blogbeitrags). In Deutschland lief seit 1928 ein Testbetrieb, bevor das Telex-Netz im Jahre 1933 endgültig eingeführt wurde. Mit der Erfindung des Hellschreibers durch Dr. Ing. Rudolf Hell kreuzen sich zwei bis dahin unabhängige Technologien, Faxsimile und Telex zu einer neuen Symbiose. Ein kleiner Schritt für die Telekommunikation wird zu einem ersten Schritt in eine digitale Schriftkultur. Mit dieser Bedeutung für die Geschichte der digitalen Schriftkultur blieb der Hellschreiber bisher weitgehend unbeachtet.

Seit Gutenbergs Erfindung der beweglichen Lettern im 15. Jahrhundert bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, prägen die in Blei gegossenen Drucktypen die Schriftkultur in unseren Büchern, Zeitungen, Zeitschriften und im Akzidenzdruck. Die im 19. Jahrhundert sich neu entwickelnde Informationsverbreitung über Morsetelegrafie, Drucktelegrafen und Fernschreiber reduzierte das Alphabet bis zur Erfindung des Hellschreibers auf codierte Zeichensätze. Das bedeutet konkret, dass die telegrafische Fernübertragung von Texten, einschließlich der Fernübertragung zur Ansteuerung von TTS-Setzmaschinen, ausschließlich über die Adressierung der dazu erforderlichen Schriftzeichen erfolgte. Das grafische Aussehen dieser Zeichen bleibt in den Anfängen der Morse-Telegrafie bedeutungslos, denn die ersten Telegrafisten mussten die Nachrichten manuell transkribieren. Als die Telegrafie dann später über Drucktelegrafen von Gerät zu Gerät erfolgt, bestimmt die Drucktype des Empfangsgerätes das Schriftbild. Im maschinellen Bleisatz sind es die Matrizen in den Magazinen der TTS-Bleisetzmaschinen und beim Fernschreiber sind es deren Typenhebel, die das Schriftbild materiell speichern. Erst mit dem Hellschreiber werden erstmals die Schriftbilder der Buchstaben telegrafiert. Der Hellschreiber schlägt eine Brücke zwischen Faksimile-Technik und Fernschreiber.

Schriftzeichen sind auch Bilder

Die Druckkunst besteht seit ihrer Entstehung im 8. Jahrhundert in China und im 15. Jahrhundert in Europa stets aus der Gemeinsamkeit von Text und Bild. Blockbücher und Holztafeldruck vereinten vor Gutenbergs Erfindung der beweglichen Lettern Text und Bild in den aus Holz geschnittenen Druckformen. Mit Gutenberg teilt sich die Druckkunst, Text und Bild beschreiten technisch sehr unterschiedliche Produktionswege. Zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe der Druckkunst gehören deshalb neben Johannes Gutenberg für den Druck des Textes auch Albrecht Dürer für den Bilderdruck. Mit der Entwicklung der Morsetelegrafie im 19. Jahrhundert verselbständigt sich das Alphabet von seinen materiellen Trägern und entwickelt eine eigene Kultur, die seit 2017 ebenfalls als immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe Anerkennung gefunden hat. Ein Alphabet ohne seine visuellen Ausdrucksformen, den Glyphen, kann auf Dauer nicht befriedigen. Speziell geschulte Telegrafisten sind erforderlich, um den Morsecode handschriftlich in visuelle Schriftzeichen umzuwandeln. Deshalb dauerte es auch nicht lange bis zur Erfindung der Bildtelegrafie. Der Grundgedanke der frühen Bildtelegrafie ist die punktweise Zerlegung von Bildern, Handschriften und Zeichnungen durch optische Abtastung und deren telegrafische Übertragung. Alexander Bain gilt als ihr Erfinder. Ein 1843 von ihm patentierter bildtelegrafischer Flachschreiber markiert den Beginn der Bildtelegrafie.

Wir unterscheiden heute in der Bildtelegrafie zwischen der Faksimile-Technik, zu der Alexander Bains Erfindung gehört, und dem Telefoto, auch Bildfunk genannt, das erst mit Arthur Korn am 17.06.1906 mit der ersten Fernübertragung einer Fotografie beginnt.[1] Die Faksimile-Technik beschränkt sich im Unterschied zum Telefoto auf die telegrafische Übertragung von ausschließlich schwarzen und weißen Bildinformationen. Der Bildfunk ist darüber hinaus in der Lage, die zwischen Schwarz und Weiß liegenden Grauabstufungen von Fotografien telegrafisch zu übertragen.

A.Bains Bildtelegraf tastet mit einem Schreibstift das Originalbild ab. Der Schreibstift wird von einem Empfangsmagneten geführt und sendet die entsprechenden Impulse über eine Pendelvorrichtung weiter zum Empfänger, wo eine Aufzeichnung der elektrischen Signale als binäre schwarze oder weiße Bildpunkte auf ein chemisch vorbehandeltes Papier erfolgt. Die Ähnlichkeit zum ersten Morsetelegrafen (siehe Teil 1) ist unverkennbar.

Bains Grundprinzip der Faksimile-Technik machte Epoche: Frederik Collier Bakewell erhält 1848 ein Patent für die Ausarbeitung eines Bildtelegrafen mit walzenartiger Abtastung und Giovanni Caselli richtet 1867 die erste öffentliche Telegrafenlinie für Fernkopien zwischen Paris, Marseille und Lyon ein.[2] [3]

Abbildung 2: Bakewell-Faksimile-Telegraf von 1848. Quelle: Wilkipedia

Die Bildtelegrafie gilt als Beginn der Faksimile-Telegrafie, die später als Faxtechnik bezeichnet wird. Morsetelegrafie, Faksimile und Fernschreiber entwickeln sich zeitlich weitgehend parallel,[4] aber technisch zunächst noch getrennt voneinander. Mit dem Hellschreiber konvergieren Bildtelegrafie und Fernschreiber zu einer für die digitale Fonttechnologie bedeutenden Symbiose.

Einsatz und Verbreitung des Hellschreibers

Der Hellschreiber ist ein Fernschreiber, der sowohl die Telefonleitung als auch die drahtlose Rundfunktechnik nutzen kann. Dr. Ing. Rudolf Hell entwickelt den Hellschreiber 1929 als Alternative zu den verbreiteten Fernschreibermodellen für Springschreiber, die das Telefonnetz der Reichspost nutzen und zum Presserundfunk, der sich mit der Einführung des Radios in Deutschland etabliert. Bereits 1920 wurde vom Reichstelegrafenamt in Deutschland der Presserundfunk eingerichtet, der politische und wirtschaftliche Nachrichten an daran angeschlossene Zeitungsredaktionen sendet. Zu den Sendezeiten wurden die ausgestrahlten Nachrichten von Stenografinnen gehört und stenografiert.

Lokale Zeitungsredaktionen machten ab 1929 von der Nutzung des Hellschreibers gern Gebrauch, weil die Übermittlung der Nachrichten über die Rundfunktechnik den Redaktionen die Gebühr der teuren Telefonleitungen für den Erhalt der Fernschreibernachrichten ersparte, das Stenografieren zu bestimmten Sendezeiten überflüssig machte und trotzdem in schriftlicher Form vorlag.

„Weltweit wurde der “Presse-Hell” zum Liebling der Nachrichtenagenturen. Er sparte im Vergleich zum Pressesprechfunk, der in den 1920er Jahren das stenografische Abtippen von vorgelesenen Nachrichten erforderte, die halbe Arbeitszeit. Er vermied teure Mietdrähte und erreichte über große Distanzen ausfallsicher viele Kunden in Redaktionen und Pressestellen. Das System überzeugte rund um die Welt bis in die 1980er Jahre.“ [5]

Ab 1934 setzte die neu gegründete staatstreue Presseagentur Deutsches Nachrichtenbüro (DNB) die Hell-Technik bei ihren Zeitungskunden durch. Das Deutsche Nachrichtenbüro hatte im Nazi-Deutschland das Nachrichtenmonopol.

„Sie (die Presseagentur DNB) lieferte die „Tagesparolen“ von der Berliner Reichspressekonferenz und war eng verbunden mit den 45 Filialen des NS-Propagandaministeriums, die die Lokalpresse überwachten. (…) Nach dem Krieg ging im Herbst 1949 die Deutsche Presseagentur (dpa) an den Start, und sie verbreitete ihre Meldungen auch per Hellschreiber.“[6] [7]

Nach Angaben von Boris Fuchs und Christian Onnasch produzierte die Firma Siemens-Halske, die von Rudolf Hell die Lizenzrechte für den Hellschreiber erwarb, ab 1931 mehr als 50.000 dieser Geräte. [8] Der neue Start seiner im 2. Weltkrieg komplett zerstörten Firma konnte Dr. Ing. Rudolf Hell wegen der vor und nach dem Krieg reichlich im Einsatz befindlichen Geräte mit der Wartung von Hellschreibern in Kiel neu beginnen.

Die Gerätetechnik

In seiner für militärische Zwecke ausgerichteten Ausführung hieß der Hellschreiber offiziell Typenbildfernschreiber. Mit dieser Bezeichnung kommt seine Funktionsweise deutlich zum Ausdruck: Ein Fernschreiber zur direkten Übertragung der Drucktypenbilder des Alphabets.

Abbildung 3: Feldhellschreiber Quelle:https://www.cryptomuseum.com/telex/hell/feld.htm

Was in der Faksimile-Technik abgetastet wird, das setzt der Hellschreiber mit einer Schreibmaschinentastatur elektromechanisch um. Statt der binären Adressierung der Buchstaben des Ausgabegerätes, wie dies bei den seit 1855 eingeführten Drucktelegrafen sowie den späteren lochbandgesteuerten TTS-Linotype-Setzmaschinen der Fall ist (siehe Teil 3 dieses Blog-Beitrages), wird beim Hellschreiber das grafische Aussehen der Schriftzeichen, wie beim Kopiertelegrafen, elektromechanisch in Punkte zerlegt und telegrafisch übertragen. In Ermangelung einer ausreichenden Auflösung erreicht der Hellschreiber nur eine Schriftbildwiedergabe knapp oberhalb der Lesbarkeit. An die Darstellung unterschiedlicher Schriftarten war damit nicht zu denken, aber das war von Dr. Hell auch nicht intendiert. Er hatte sich mit seiner Erfindung eine weniger störungsanfällige Telegrafie zum Ziel gesetzt.

„Die funktelegrafische Übermittlung von Telegrammen mit dem bekannten auf dem Fünferalphabeth aufgebauten Fernschreibern (Drucktelegrafen) war nicht hinreichend betriebssicher. Störungen im Funkweg verfälschten die einzelnen Zeichen und brachten empfangsseitig ein unrichtiges Schriftzeichen zum Abdruck, ohne dass es möglich war, die fehlerhafte Niederschrift als solche zu erkennen.“ [9]

Zur Umsetzung dieser Intention greift Hell den Grundgedanken der Bildtelegrafie von Bains, Bakewell und Caselli auf und wendet ihn auf die binäre Zerlegung und Übertragung der Glyphen einer Schrift an. Für den Hellschreiber wird ein Patent für eine „Vorrichtung zur elektrischen Übertragung von Schriftzeichen“ erteilt. Die binäre Auflösung des Schriftbildes in Linien und Punkte nimmt in dem Patent von 1929 bereits das Prinzip digitaler Fonttechnologie vorweg, denn der Hellschreiber erzeugt mechanisch und mit Tastatur das, was später in der digitalen Fonttechnologie als „Bitmap-Schrift“ bezeichnet wird. Darunter wird ein gespeichertes Schriftformat verstanden, das aus einer Matrix (Map) kleinster speicherbarer Informationseinheiten besteht, den sogenannten Bits, deshalb ‘Bitmap’. Ein Binary Digit (=Bit) kann maximal zwei Zustände, ‚an‘ oder ‚aus‘, ‚Null‘ oder ‚Eins‘, speichern.

Im Hellschreiber gibt es noch keine Bits. An deren Stelle übernimmt eine für jede Taste der Schreibmaschinentastatur individuelle Nockwelle die Aufgabe, das Schriftbild der Glyphen in eine binäre Matrix zu zerlegen. Die Tastatur sorgt im Hellschreiber von 1929 für die direkte „Übersetzung“ in die binäre Darstellung der Schriftzeichen. Die Funktion der Tastatur ist das Alleinstellungsmerkmal, was den Hellschreiber vom Fernschreiber einerseits, aber auch von der Faksimile-Technik andererseits, deutlich abgrenzt.

Wir sind nur Zwerge auf den Schultern von Riesen

Die Idee zur Anwendung der Bildtelegrafie auf die punktweise Übertragung von Schriftzeichen kommt Dr. Ing. Rudolf Hell keineswegs aus dem Nichts. Inspiriert wurde er wahrscheinlich von Max Dieckmann. Rudolf Hell studierte bei ihm, weil ihn dessen Arbeitsgebiet faszinierte. Dieckmann selbst arbeitete unter Ferdinand Braun, dem Erfinder der Braunschen Röhre, an Versuchen zur Verwirklichung des drahtlosen Fernsehens. Braun selbst wünscht allerdings nicht, dass sein Name mit solch „obskurer“ Idee in Verbindung gebracht wird, denn für Braun ist die Erfindung des Fernsehens ein Perpetuum mobile, also eine Art unerfüllbarer Traum. Karl Ferdinand Braun selbst forscht auf dem Gebiet der drahtlosen Telegrafie. Es entsteht der Braun-Sender, mit dem elektrische Wellen drahtlos in eine bestimmte Richtung gestrahlt werden können. Im Jahr 1909 bekommen Karl Ferdinand Braun und Guglielmo Marconi für ihre Verdienste in der drahtlosen Telegrafie den Nobelpreis für Physik. Für die nach Ferdinand Braun benannte Braunschsche Röhre, ohne die weder das Fernsehen noch die digitale Fonttechnologie hätte erfunden werden können, erhält Braun keinen Nobelpreis.

Max Dieckmann lässt sich von Ferdinand Brauns Fehleinschätzung nicht beirren und forscht an der Entwicklung der Fernsehtechnik weiter.[10] Die Versuche Diekmanns faszinieren Rudolf Hell so sehr, dass er zwei Jahre lang als unbezahlter Assistent bei ihm arbeitet. Dr. Dieckmann und Rudolf Hell melden 1925 zusammen ein Patent mit dem Titel „Lichtelektrische Bildzerlegerröhre für Fernseher“ als Reichspatent an, welches ihnen 1927 unter der Nummer 450 187 erteilt wird. Von hier ab gehört die Zerlegung von Bildern in Punkten zu Rudolf Hells Lebenswerk.

Abbildung 4: Ferdinand Braun (links), Max Dieckmann (mitte), Rudolf Hell (rechts)

1929 gründet der inzwischen promovierte Elektroingenieur Dr. Ing. Rudolf Hell seine erste Firma in Berlin Babelsberg. Noch im selben Jahr erfindet er dort den Hellschreiber. Er sagte selbst einmal dazu:

Binnen einer halben Stunde entstand die gesamte Konzeption des Gerätes. Ich diktierte es meiner Frau und danach war das Patent da.“

B.Fuchs und Chr.Onnasch: Dr.Ing. Rudolf Hell. Der Jahrhundert-Ingenieur im Spiegelbild des Zeitgeschehens. S.47

Vor diesem Hintergrund liegt die Anwendung der Bildtelegrafie auf die telegrafische Übertragung von Schriftzeichen für ihn sehr nahe. Für eine direkte Anwendung der Zerlegung des Schriftbildes mittels einer Kathodenstrahlröhre, wie sie 1967 mit der Digiset von Dr. Hell umgesetzt wird, war es zu diesem Zeitpunkt noch zu früh. Ohne die Entwicklung des ersten Computers und von Datensichtgeräten ist dieses Vorhaben rückblickend auch kaum vorstellbar gewesen. Die punktweise Zerlegung der Glyphen muss daher mit anderen, bereits bewährten Mitteln umgesetzt werden. Das sind eben die Mittel der Bildtelegrafie. In seiner Dankesrede zur Verleihung des Gutenberg-Preises äußert sich Dr. Ing. Rudolf Hell zur Rolle des Ingenieus.

Während der Künstler weitgehend unabhängig von der gegenwärtigen Kunst Neues schaffen kann, ist der Ingenieur darauf angewiesen, auf dem vorhandenen Wissen und der Technik aufzubauen. Es ist somit die Arbeit des Einzelnen, die Fortsetzung einer Kette von Forschungsarbeiten, an der viele Wissenschaftler beteiligt sind, wobei oft Ähnliches, manchmal sogar zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten entsteht.“ [11]

Erfinder sind wie Zwerge auf den Schultern von Riesen. Was in der bereits existierenden Bildtelegrafie elektronisch als Faksimilie-Übertragung erfolgt, setzt Hell 1929 mit dem Hellschreiber elektromechanisch zunächst mittels Tastatur um.

Die Beschränkung auf bildtelegrafische Übertragung ermöglicht, sowohl Schriftzeichen in Form der großen lateinischen Buchstaben als auch Zahlen, in einzelne Abtastlinien und Bildpunkte zerlegt, als leitende und nicht leitende Elemente auf eine gleichförmig umlaufende Sendewalze aufzubringen. Es wird dadurch die Lage der einzelnen Schriftzeichen in eine feste Beziehung zu den einzelnen Abtastlinien gebracht, wobei leichte Lesbarkeit bei geringster Bildpunktzahl erzielt wird. Der Abtastvorgang der einzelnen Schriftzeichen wird durch eine Schreibmaschinentastatur oder durch einen Lochstreifen ausgelöst.“ [12]

Abbildung 5: Nockenwelle des Hellschreibers (links) und Bildpunktematrix bei der Ausgabe Quelle: Wikipedia

Das Konstruktionsprinzip von 1929 verbindet die Typenhebel einer Schreibmaschine mit einzelnen Nockenscheiben, die jeweils in 7 Sektoren mit jeweils 7 Nocken eingeteilt sind (Abbildung 5 links). Diese mit Nocken versehenden Sektoren erzeugen durch ihre Drehung elektromechanisch beim Empfänger eine aus 49 Bildpunkten bestehende Matrix für jede Glyphe (Abbildung 5 rechts). Jeder Tastendruck auf der Sendeseite ist mit einer anderen Nockenscheibe verbunden und setzt diese in Bewegung. Erste Versuche mit einer höher aufgelösten Bildpunktmatrix scheiterten an der Überforderung der Übertragung dieser Daten.

Zur Übertragung wurden diese einzelnen Schriftzeichenfelder bei den ersten Geräten in insgesamt 12 Linien mit je 12 Bildpunkten zerlegt. Dabei wurden entsprechend für jeden senkrechten Strich eines Schriftzeichens zwei Bildlinien verwendet, das gesamte Schriftfeld enthielt 144 Bildpunkte. Die Telegrafengeschwindigkeit betrug bei der Übertragung von 5 Zeichen pro Sekunde 720 Bauds (± 360 Hz Bandbreite) (…) Die Bandbreite von ± 360 Hz bei der Übertragung dieser Hell-Zeichen verbot empfangsseitig die Anwendung von engen Siebmitteln (…) Eine neue Aufteilung des Schriftzeichenfeldes in nur 7 Linien, wobei die Länge des kürzesten Bildimpulses gleich 1/7 der Bildlinien ist, verminderte die Bandbreite auf ±122,5 Hz bei 5 Zeichen/sec Übertragungsgeschwindigkeit.“ [13]

Auf der Ausgabeseite werden die Schriftbilder mittels einer sich drehenden gezahnten Schreibspirale bewirkt, die auf das durchlaufende Papierband drückt. (Abbildung 6)

Abbildung 6: Schreibspirale beim Hellschreiber. Quelle unbekannt

Der unter der Spindel laufende Papierstreifen berührte die Spindel dauernd, so daß die einzelnen Zähne eng übereinanderliegende Zeilen auf das Papier zeichneten. Die Einfärbung wurde durch ein Kohlepapier zwischen Spindel und Registrierpapier bewirkt.

Beim Eintreffen von Schriftzeichenimpulsen erhielt das Papier durch ein kräftiges Lautsprechersystem eine Vibrationsbewegung senkrecht zur Fortbewegungsrichtung. Die registrierten Zeilen wurden dadurch seitlich auseinandergezogen, es entstanden an diesen Stellen kräftige tiefschwarze Verbreiterungen der Zeilen, die als Markierung der Bildpunkte dienten und die Schriftzeichen klar erkennen ließen.“ [14]

In dieser von Hell beschriebenen Weise wird jeder Buchstabe von einer zweigängigen Spindel zweimal in 7 x 7 Schriftbildpunkten auf dem Papierstreifen abgedruckt. Der zweimalige Abdruck der Schriftbildpunkte hat das Ziel, dass bei Übertragungsstörungen die Schrift durch eine schiefe Aufzeichnung auf das Papier zwar abgeschnitten wird, aber dennoch lesbar bleibt.

In späteren Ausführungen wird von Siemens Halske die Nockenwelle durch eine sich drehende Trommel ersetzt, die statt der Nocken über elektrisch leitende und nicht leitende Beschichtung verfügt.

Abbildung 7: trommel eines Hellschreibers zur Erzeugung der Buchstabenmatrix
Quelle: Bedienhandbuch für den Hellschreiber

Dr. Ing. Rudolf Hell verkauft sein Patent an die Firma Siemens-Halske und erhält dafür das notwendige Startkapital für seine eigene Firma in Berlin. Wegen der hohen Störsicherheit ist die kompakte Form der unterschiedlichen Feld-Hell-Schreiber, die zwischen 1935 und 1945 gebaut wurden besonders im militärischen Einsatz sehr beliebt.

Für die Funkübertragung wird der Hellschreiber über einen Lochstreifengeber angesteuert. Der Lochstreifengeber des Hellschreibers „übersetzt“ die Codierung der Buchstaben nach ITA-2 in Tonsignale, die dem „Hell-Code“ entsprechen. Mit dem „Hell-Code“ ist die Zerlegung der Schriftzeichen in ihre individuellen 49 Bildpunkte pro Buchstaben gemeint. Der Lochstreifengeber ist an einen Lautsprecher angeschlossen, der zusätzlich mit einem Tongenerator verbunden ist, der einen hörbaren NF-Ton mit einer Frequenz von 1300 Hz erzeugt. Aus Lochstreifengeber und Tongenerator wird ein AM-Signal erzeugt, der über einen Funksender gesendet wird. Der Funkempfänger empfängt dieses AM-Signal, wo es von einem Verstärker verstärkt und vom Hellschreiber aufgezeichnet wird.

Die Weiterentwicklung der Siemens-Halske Hellschreiber nimmt auch die aktuelle Entwicklung in der Elektrotechnik der damaligen Zeit auf. Ab 1954 werden binäre Zustände mit den inzwischen erfundenen Ferritkernspeichern elektronisch darstellbar und können dauerhaft gespeichert werden. Bei einem Ferritkernspeicher können die in einer Matrix befindlichen Magnetkerne über Drähte elektrisch angesteuert werden und sie dadurch dauerhaft in unterschiedliche Polarisierung (+ oder -) versetzen.

Abbildung 7: Ferritkernspeicher in starker Vergrößerung. Quelle:Von Konstantin Lanzet – received per EMailCamera: Canon EOS 400D, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7025574

Der Hellschreiber GL 80 aus dem Jahre 1960 verfügt bereits über Halbleitertechnik statt der noch im Hell GL 72 verwendeten Elektronenröhren. Außerdem ist ein Lochstreifeleser bereits eingebaut. Die Bildpunktmatrix wurde auf 7 x 9 Bildpunkte erhöht und befindet sich nicht mehr auf Nockenscheiben, sondern in einem Kernspeicher. [15] Der Hellschreiber von 1960 hat die digitale Speichertechnik für Bitmap-Fonts bereits 1960 integriert. Durch die Verwendung der Ferritkernspeichertechnik ist schon im Hellschreiber ein wesentlicher Meilenstein technisch realisiert worden, der sieben Jahre später dazu führt, dass die Firma Dr. Ing.Rudolf Hell mit der Digiset die weltweit erste komplett digitale Satzanlage der Öffentlichkeit vorgestellt, als andere Hersteller noch mit Fotosatz und dem Foto als Schriftbildträger versuchten, mit der Entwicklung zur Digitalität in der Fonttechnologie Schritt zu halten.

Vom Hellschreiber bis zur Digiset war es auch für Dr. Hell noch ein weiter Weg, denn die Qualität der Schriftdarstellung des Hellschreibers hat selbst die Qualität von herkömmlichen Schreibmaschinen bei weitem unterschritten.

Der fachliche Diskurs um die Entwicklung des Hellschreibers war in den 50iger und 60iger Jahren noch ausschließlich nachrichtentechnisch ausgerichtet und ist es in der technikgeschichtlichen Betrachtung auch heute noch. Die Frage typografischer Qualität ist keine Frage für den Diskurs in der Nachrichtentechnik. Der Hellschreiber war keine Setzmaschine, sondern eine Alternative zum Fernschreiber. Die Lesbarkeit des übertragenen Textes war auf dessen gute Entzifferbarkeit beim Empfänger reduziert. Aber die Entwicklung der Fernsehtechnik auf der Grundlage der Kathodenstrahlröhre und die Entwicklung des Computers kurz vor und im 2. Weltkrieg, haben nach dem 2. Weltkrieg dazu geführt, dass diese Innovationen zu einem ganz anders gearteten Diskurs in der Fonttechnologie geführt haben. Der Impetus zu diesen neuen Diskursen kam aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Rudolf Hell wird mit der Digiset zum Pionier der digitalen Fonttechnologie, aber, wie so oft, sind Pioniere in der technischen Entwicklung nicht immer diejenigen, die auf dem Markt durch den Erfolg dafür auch belohnt werden. Mit der Entwicklung der Digiset auf dem Weg in die digitale Fontttechnologie befasst sich Teil 7 zu diesem Blogbeitrag.

  1. Claus Schmidt-Stölting: Faksimile-Technik für Presse und Druckindustrie Quelle: Hellverein Kiel
  2. Franz Pichler: Elektrische Bilder aus der Ferne. Technische Entwicklungen von Bildtelegraphie und Fernsehen bis zum Jahre 1939
  3. Albert Kümmel-Schnur, Christian Kassung (Hg.): Bildtelegraphie
  4. https://technikum29.de/de/kommunikationstechnik/faxtechnik.php
  5. https://alfelder-zeitung.de/Story/44513/Technik-Experten-gesucht-Wer-kennt-den-Hellschreiber
  6. https://alfelder-zeitung.de/Story/44513/Technik-Experten-gesucht-Wer-kennt-den-Hellschreiber
  7. Siehe dazu auch: Zeitungs-Verlag. 40. Jahrgang Nr. 17 vom 29.April 1939 Berlin.
  8. Boris Fuchs und Christian Onnasch: Dr. Ing. Rudolf Hell. Der Jahrhundert-Ingenieur im Spiegelbild des Zeitgeschehens. Sein beispielhaftes Wirken. S. 46f
  9. R. Hell: Die Entwicklung des Hell-Schreibers www.hellschreiber.com
  10. http://www.fernsehmuseum.info/dieckmann-story.html
  11. Dr.-Ing. Rudolf Hell: Dankrede zur Verleihung des Gutenberg-Preises 1977 in Mainz. In: Gutenberg-Preis der Stadt Mainz und der Gutenberg-Gesellschaft verliehen an Rudolf Hell am 25. Juni 1977. Kleiner Druck der Gutenberg-Gesellschaft Nr. 104
  12. R.Hell a.a.O, S. 3
  13. Dr. Ing. R. Hell: Die Entwicklung des Hell-Schreibers
  14. Ebd. S. 3
  15. https://www.hell-kiel.de/de/hell-entwicklungen/52-nach

Zwischen Morsecode und Fonttechnologie Teil 5: Exkurs zur Genealogie der Schrift- und Rechenkultur

 

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